Ein Tag im Paradies
(Diesen Text habe ich für die Vereinszeitung des CDE e.V. zum Thema “CDE-ler im Ausland” geschrieben)
Wie ist es, in Israel zu leben? Lustig ist es, und es macht unglaublich Spaß – zumindest als Freiwilliger. Von 2002 bis 2003 habe ich in Israel meinen Zivildienst in einer Kibbutz-ähnlichen Einrichtung für Behinderte abgeleistet. Ein beispielhafter Tag des Zivildienstes sei hier kurz zusammengefasst.
Es ist Freitag in Israel im Sommer 2003. Sehr heiß. Ich sitze draußen mit ein paar anderen, genieße die staubige trockene Luft, ziehe an der Wasserpfeife und lausche den blubbernden Eiswürfeln darin. Ein Herr setzt sich zu uns, Michael, britisch. Er habe gestern mit Arafat zu Abend gegessen und neulich habe er in der Wäscherei al-Gaddafi gesehen, nun aber stehe ein Telefonat mit einem Sohn Saddam Husseins an. Michael sei ein Diplomat aus London und wegen eines Alkoholproblems hier, aber nicht für lange.
Hier, das ist ein ehemaliger Kibbutz in Galiläa, eine Dorfgemeinschaft, heute eine Pflegeeinrichtung für geistig Behinderte. Es heißt “Kfar Tikva“, das Dorf der Hoffnung. Michael wohnt hier schon seit langem. Alles, was ein Kibbutz so hat, gibt es auch hier, und noch viel mehr: Speisesaal, Waschsalon, Kleiderkammer, Materialausgabe, Verwaltung, Krankenstation, Schwimmbecken, Hundepension, Weinkelterei, Plastikfabrik, Musikzimmer, Kraftraum, Computerrraum, Arbeitsräume, Gebetsraum, Zoo und Töpferei. Die Bewohner, Hebräisch “Chaverim”, also Freunde, arbeiten hier nach ihren Fähigkeiten. Eingesperrt ist niemand, dafür sind alle gut gelaunt.
Es ist Mittag. Ich muss Udi zum Essen begleiten. Er wählt die Toilette passend zum Wochentag, wäscht sich eine halbe Stunde die Hände und isst die Essensbeilagen der Reihe nach. Heute ist Freitag, das heißt zum Einen “Toilette Nummer vier”, und zum Anderen, dass ich den Rest des Tages frei habe. Ein Nationalpark möchte gesehen werden. Vielleicht Beit Shean, die riesige Römerstadt neben der alten ägyptischen Festung nahe der Kreuzfahrerburg? Ich trampe mit einer Kollegin los, ein junges Pärchen nimmt uns mit, der Eintritt wird uns freundlicherweise geschenkt und auf dem Rückweg fährt uns jemand in seinen Kibbutz um uns ein paar reife Früchte von der Mangoplantage zu geben.
Die Landschaft ist toll und meine gefrorene Wasserflasche ist wieder leer. Abends kommen unsere Lieblings-Beduinen ins Dorf. Es gibt Bier und Wodka mit Orangensaft und für die Mädchen Komplimente in gebrochenem Hebräisch. Ein Freund will uns zu einer Goa-Trance-Party in einen Kibbutz fahren. Wir schlafen erstmal bis nachts um eins, und fahren dann los, ins nichts. Ein Dorf eben, mit Kühen und Schafen und indischen Sitzecken, mit Kerzen und Hippies, um drei wird es langsam voll. Es gibt Suppe von Mutti, Wasserpfeife und eine Oma verteilt kostenlos Tüten zum Probieren. Es wird getanzt.
Die ersten Sonnenstrahlen bringen den Kuhmist zum stinken und erinnern uns an die Heimfahrt. Der Freund ist weg, aber einer der Gäste will uns mitnehmen. Er führe zwar eigentlich gar nicht in unsere Richtung, aber er sei so besoffen, dass ihm das egal wäre. Er fährt sicherstes Schritttempo und setzt uns irgendwo ab. Wir stellen uns an das nächste Schild zum trampen (“No hitchhiking!”). Ein paar arabische Juden haben zwar schon jemanden hinten im Laderaum, auf Regalen und raubkopierten CDs, aber für uns ist auch noch Platz. Wir sind wieder daheim.
Zum Schlafen ist es schon zu hell und zu warm. Maurice, ein palästinensischer Christ aus dem Drusendorf, gibt uns kaltes Bier gegen den Kater, dazu Johnny Walker. Wir wollen zum Strand. An der Bushaltestelle plaudert ein netter rumänischer Opa mit uns auf Französisch, er sei vor den Nazis aus Bukarest geflüchtet und seitdem nie wieder dort gewesen. Der Bus kommt nicht, aber ein freundlicher Jemenite räumt extra noch seine Rückbank frei und fährt uns zu einer großen Kreuzung, von wo aus uns ein gut gekleideter Herr (der Sprecher des Finanzministeriums) an den Strand fährt, weil wir ein großes blondes Mädchen dabei hätten und offensichtlich nicht von hier seien. Wir genießen den Strand und seine Besucher, denn morgen wartet ein bunter Arbeitstag auf uns: Wecken, spazieren, rasieren, begleiten, Post besorgen, helfen, Krankenhaus, Ärzte, Essen bringen, anleiten, feiern, ein Freund sein.